von Sabine Muster-Brüschweiler
Wie sieht Draussenunterricht bei Kolleg*innen ennet der Grenze aus? Begegnen sie den selben Schwierigkeiten? Teilen sie die gleichen Freudenmomente? Ein schweizerisch-französisches Projekt organisiert gegenseitige Klassenbesuche unter freiem Himmel zwischen La Chaux-de-Fonds und der Bourgogne-Franche-Comté.

«In unserem Beruf haben wir nur selten die Möglichkeit, uns für andere Kollegen und ihre Praxis zu öffnen. Das ermöglicht uns, über unsere eigene Praxis nachzudenken, denn manchmal bleiben wir in unserer Art zu unterrichten stecken. Es stellt uns in Frage, es gibt uns einen kleinen Anstoss und ich finde das wirklich sehr interessant. Es bringt uns Neues, es motiviert uns wieder und ich finde, wir sollten das öfter machen!»
Mara Gagnebin, Lehrerin in La Chaux-de-Fonds
5 März 2025: Frankreich -> Schweiz
Acht Lehrerpersonen aus La Chaux-de-Fonds öffneten die Tür ihres Draussen-Klassenzimmers für elf Kolleg*innen aus der Bourgogne-Franche-Comté. Diese mussten früh aufstehen, um den Weg von Besançon, Arbois, Ornans, Morteau und sogar Dijon auf sich zu nehmen und pünktlich am Treffpunkt zu sein.

Gemeinsam mit den Gastgeber*innen machten sich einige gleich zu Fuss auf den Weg zum Lernort – so wie Aurore und Muriel, die die Sonderschullehrerin Stéphanie und ihre Klasse mit 14- bis 15-jährigen Schüler*innen besuchten. Auf dem Vormittagsprogramm standen eine Sequenz über Unhöflichkeit, das Suchen von Spuren von Unhöflichkeit in den Strassen rund um die Schule sowie eine Geometriestunde mit Winkelmessungen an verschiedenen vor Ort vorhandenen Elementen.
«Ich sehe viele Vorteile für die Schüler*innen, sowohl für ihre Lernfortschritte als auch für ihr Wohlbefinden: sie können freier atmen als im Schulzimmer. Nach draussen zu gehen ist auch für Jugendliche geeignet, es tut ihnen gut und es tut uns gut!»
Stéphanie Lesquereux, Sonderschullehrerin in La Chaux-de-Fonds
Unterschiede zwischen der Schweiz und Frankreich
Sandrines Klasse fuhr mit dem Bus in den Wald. Begleitet wurden sie von Anne-Laure, einer Naturpädagogin, die ein abwechslungsreiches Programm mit Aktivitäten zum Thema Bäume, freiem Spiel und dem Backen von Brötchen über dem Feuer für den Zvieri vorbereitet hatte. Mehrere Gastgeber*innen hatten ein Feuer eingeplant, um ihren Besucher*innen ein abwechslungsreiches Menü anbieten zu können. Für diese war das DIE schöne Entdeckung, die auch ein wenig neidisch machte… Es wäre so schön, wenn es auch in Frankreich erlaubt wäre, Feuer zu machen!
Maras Schüler*innen sind 4 und 5 Jahre alt und legten einen langen Weg zu ihrem Naturplatz zurück.
«Ich fand es auffällig, wie viel Ausdauer die Kinder während ihres Ausflugs hatten. Sie sind fast dreissig Minuten lang geklettert und haben ihren Waldplatz mühelos erreicht. Mir ist klar, dass sie in diesem Alter durchaus dazu in der Lage sind. Es gibt hier eine Kultur des Draussenseins bei den Lehrpersonen, die dazu führt, dass der Ausflug spontaner ist, und eine Lockerheit, die dazu führt, dass es auch für die Schüler*innen flüssig und entspannt ist. Das ist angenehm!»
Fanny Villecroze, Naturpädagogin CPIE Yonne und Nièvre
Eine Community of practice
Für die Lehrpersonen und Naturpädagog*innen ist es vor allem das gegenseitige Kennenlernen, das sie im Rahmen des Projekts «Dynamique franco-suisse de l’école dehors» nährt. Sie entdecken eine andere Unterrichtspraxis und Lernorte, lernen die Schüler*innen ihrer Kolleg*innen kennen und schätzen den Austausch zwischen Bildungsfachleuten über konkrete Unterrichtssituationen.
Für SILVIVA, GRAINE BFC und FRENE, die Träger des Projekts, geht es auch darum, über die Dauer des Projekts hinaus eine Community of practice zu schaffen und Lust darauf zu machen, dieses Modell von gegenseitigen Besuchen weiter zu verbreiten – über andere Grenzen hinweg oder innerhalb der Länder.
5 Juni 2025: Schweiz -> Frankreich
Die Lehrpersonen aus La Chaux-de-Fonds fuhren nach Ornans am Ufer der Loue, um die Draussenschule ihrer Kolleg*innen aus der Franche-Comté zu entdecken.

Das «Draussen» variierte je nach Besuchsort: ein Stadtwald in Besançon bei Delphine, die mit ihren 8- bis 10-jährigen Schüler*innen aus einem REP+-Gebiet (Réseau éducation prioritaire +: Ein Gebiet mit einer Konzentration sozialer Schwierigkeiten, die sich stark auf den Schulerfolg auswirken) nach draussen geht, ein Stück ungestalteter Natur bei Mélanie und Elise in Granges Narbois im Haut Doubs und ihrer Vorschulklasse, in der auch einige Kinder mit autistischen Störungen unterrichtet werden, ein riesiger Park mit Bäumen und einem Fluss, der von einem privaten Eigentümer in Arbois für Véronique und ihre 9- bis 10-jährigen Schüler zur Verfügung gestellt wird und eine ländliche Gegend mit Wiese, angrenzendem Sumpfgebiet und einem schattenspendenden Wäldchen für die Jugendlichen aus Nathalies Klasse, die im ULIS-Programm (Unité localisée pour l’inclusion scolaire, Schüler*innen mit Behinderungen und Lernschwierigkeiten) unterrichtet werden.

«Wir haben die gleichen Schülerinnen und Schüler!…
… Es wäre schön, wenn sie sich treffen könnten!»
Ein Teil des Projekts zielt darauf ab, Begegnungen für die Schüler*innen zu entwickeln. Da es aus rechtlichen Gründen schwieriger ist, die Schüler*innen über die Grenze zu bewegen, haben die Lehrpersonen an alternativen Möglichkeiten gearbeitet – wie z. B. einem Schatzkoffer, der auf Reisen geht, oder Herausforderungen in Form von Karten oder Audioaufnahmen, die über die Grenze hinweg geteilt werden. Der Start des Austausches zwischen den Schüler*innen ist für den Winter geplant. Vorher gibt es im Herbst eine reflexiv-kreative Wanderung für die Lehrpersonen auf dem Wegnetz an der französisch-schweizerischen Grenze.